Buch der Sajaha
Einleitung
Neuübersetzungen (1991) geistlicher Schriften pflegen stets zunächst Anhänger und Gegner zu gewinnen. Man bedenke nur, wie es diesbezüglich mit wohl jeder Neuübersetzung des Neuen Testaments steht - und diese sind leichter in den Griff zu bekommen, als das Buch der Sajaha.
Sajaha war Oberpriesterin in Esagila, dem Tempelbezirk von Babylon, zur Zeit Nebukadnezars II. (605-562 vor unserer Zeitrechtung). Sie war darüber hinaus persönliche Ratgeberin und Vertraute des Königs. Nähere Einzelheiten sind jedoch nicht sicher bekannt.
Sajaha hat uns bedeutende Weissagungen hinterlassen. Sie war eine Seherin, was in der babylonisch-altorientalischen Tradition ebenso verankert ist, wie in der deutsch-germanischen.
Die bekannte Übersetzung ist keineswegs überholt. Die Sprache der Jahrhundertwende bereitet jedoch heutzutage vielen jüngeren Lesern Schwierigkeiten.
Überdies wurde in jener Übersetzung in einigen Punkten mehr nach Sinn als nach Wortlaut vorgegangen.
Einige Stellen sind sehr schwierig zu übersetzen. Dies insbesondere in Saj. 1 und Saj. 9, aber auch in den Bruchstücken Saj. 16 und Saj. 18. Wo die Gefahr einer Sinnentstellung bestand, wurde hier lieber ein unklares und mitunter unschön klingendes Deutsch hingenommen, als womöglich den Sinn zu verändern.
Dieses Sajaha-Buch ist weitgehend vollständig. Auch die bisher nur in Interlinear-Übersetzung vorhanden gewesenen Bruchstücke Saj. 16-19 sind hier enthalten. Allein der zweite Brief an den König wurde nicht berücksichtigt, da er fast vollständig unleserlich ist; man erkennt kaum mehr als Anrede und Gruß. Ebenfalls nicht in dieses Buch aufgenommen wurden einige vorhandene Briefe von Sajaha-Schülerinnen, die in der allerersten Herausgabe enthalten waren, jedoch eines eigenen Platzes bedürfen.
Text
SAJAHA 1
(Brief an den König)
Mein König, wie dir nun schon bekannt ist, sind überall Schwingungen und Ströme von unterschiedlicher Art und Kraft, aber überall und in allem und jedem, im bloß Erahnbaren sogar.
Es ist also für alles, und so auch für die Menschen, das Dasein ein ständiges Sein inmitten eines Meeres von kosmischen und magischen Schwingungen und Strömen, ja, es ist gleich einer weiten See, welche wiederum viele verschiedene Meere in sich birgt.
So geschieht es, daß einjeder und einejede aus solchen Meeren von Schwingungen und Strömen unablässig erhält und auch wieder von sich gibt - ohne aber noch irgendetwas von alledem bestimmen zu können, ja, zumeist es gar nicht bemerkend.
Es liegt diese Ohnmacht gegenüber den Schwingungen und den Strömen, die doch so allwirksam sind, vor allem daran, daß die hohen Gaben der reingebliebenen, gottnahen Menschen seit dem Untergang des Ur-Reiches fast gänzlich abhanden geraten sind. Und die sich vermischenden Nachfahren verloren das meiste von der alten Kraft.
Daher ist es gekommen, daß vor allem in jenem Bereich, der nicht Bewußtheit ist, die strömenden Kräfte da wirken und nur in geringem Ausmaße von Weisen ein wenig gelenkt, nie aber wirklich beherrscht und zweckdienlich benutzt werden können.
Dies liegt daran, daß die feinen Nerven der Ahnen [bei den heutigen Menschen] verkümmert sind, die für das Beherrschen der hohen Kraft notwendig waren, bei den Nachfahren und den Nachkommen von diesen aber nicht mehr vorhanden sind.
Das einzige Werkzeug, das die Schwingungen und Ströme [noch] auffangen und beherrschbar machen kann, sind die langen Haare der Frauen. Wie ein zartes, aber großes und dichtes Netz können sie die Kräfte halten und lenkbar machen, sofern eine [Frau] das dazu Notwendige versteht, von dem bekannt ist [aus den magischen Lehren].
Dies bedeutet nun, daß die meisten Menschen die magischen Ströme nicht handhaben können, obwohl sie mitten in ihnen sind; und daher sind sie wie steuerlose Boote auf einem unbekannten Meer.
Deshalb sollen die wenigen Befähigten ihr Vermögen benutzen, um den vielen Anderen wegweisende Lichter zu halten in dem stillen unsichtbaren Meer. [Die Schwingungen der Naturgewalten gelten als männlich, die magischen hingegen als weiblich.]
SAJAHA 2
(„Ereschkigal und die Eulen“)
„Wo, ihr Weisen, hat der Kreis seinen Anfang? Und wo sein Ende?“ - Darüber befragte Ereschkigal einst die Eulen, die in tiefen Höhlen hausen bei Tag und die Welt bloß schauen zur Nacht.
Die erste Eule sprach: „Wo das Licht aufhört, ist der Anfang des Kreises, und wo die Finsternis aufhört, dort ist sein Ende.“
Die zweite Eule sprach: „Denn alles hat einst begonnen im Licht, durchwandert das Dunkel und kehrt zum Lichte zurück.“
Die Ereschkigal aber wollte noch anders es wissen und befragte weiter die Eulen: „Ihr sprecht zu mir vom Laufe der Ewigkeit in Unendlichkeit. Ich aber habe hier einen Kreis gezeichnet mit einem Griffel auf einen Stein. Ihr sprecht von jener Welt - ich aber frage nach dem Sinn in dieser!“
Die erste Eule sprach: „Alles, was in jener Welt gilt, das gilt auch in dieser; bloß gibt es in jener noch tausendfach mehr.“
Die zweite Eule sprach: „Dein Kreis, den du uns gezeichnet da zeigst, ist doch nichts anderes als ein kleines Abbild des Großen.“
Da wurde die Ereschkigal ungeduldig und rief den Eulen zu: „Ihr wollt zu einem mir machen, was voneinander verschieden ist! Sagt mir, wo bei diesem, meinem Kreise, Anfang und Ende sind!“
Da lachte die erste Eule und die zweite antwortete: „Dort sind Anfang und Ende, wo du das eine, wie das Andere, beim Zeichnen gesetzt hast. Doch nun hast du es vergessen.“
Und die erste Eule sprach: „Wie du dieses Kleine vergaßest, so auch das Große. Denn wüßtest du um den Beginn allen Seins, so würdest du uns des Kreises wegen nicht fragen. Ich erkläre dir aber, weil du es wissen mußt, noch dies Folgende: Es ist - was immer du beginnst in der Erdenwelt - nicht mit sich allein, es hat sein höheres Gegenstück, sinnhaft in der anderen Welt, von der du, Ereschkigal, wissen mußt.
Zeichnest du den Kreis hier mit dem Griffel auf den Stein, so hast du eine in sich geschlossene Linie, die, ihrer Art gemäß, anscheinend weder Anfang noch Ende haben kann - und dennoch einst hatte!
So steht es auch mit dem großen Kreislauf der Ewigkeit in Unendlichkeit: Verbunden für immer ist alles miteinander, von Anfang bis Ende bekannt dem, der schuf.
Dies gibt, daß nun alles untrennbar ist, vom Anfang bis zum Ende, unlösbar, durch alle Kreisläufe der Ewigkeit. Und so du deines gezeichneten Kreises Anfang und Ende nicht mehr auseinanderzuhalten weißt, so ergeht es auch dem, der alles Sein schuf.
Im Anfang ist ihm das Ende vertraut und im Ende der Anfang. Eines ist alles - jeder Hauch der Ewigkeit.
Falls du jetzt noch nicht begreifst, so gehe und erfrage mehr in der anderen Welt.“
Da stand die Ereschkigal von dem Stein auf, auf dem sie gesessen hatte, und verließ die Eulen.
Die zweite Eule aber sprach zur ersten: „Ereschkigal hält sich allzuoft in der Unterwelt auf. Darum ist der Kreis für sie so, als stünde sie in ihm und sei durch ihn gefangen. Frei ist ja nur, wer auf seiner Linie entlanggeht.“
Als Ereschkigal jedoch durch die langen Gänge ihres unterirdischen Palastes schritt, der Worte der Eulen noch eingedenk, da sah sie plötzlich am Ende des längsten Tunnels das ferne Licht des Ausgangs; und sie verstand, daß an der Quelle des Lichts Ende und Anfang sich treffen.
SAJAHA 3
Vieles ist gewesen, noch vieles wird sein, und in der Mitte von gewesen und kommend liegt das Jetzt.
Das Jetzt aber ist stets nur die Zeitspanne eines halben Atemzugs; es gibt kein Maß, es zu messen.
Die Blicke Marduks jedoch überschauen. Vor ihm fügen sich die Tropfen des Jetzt zum Strom der Ewigkeit in Unendlichkeit. Er überblickt alles.
Er sieht den Anfang und das Ende. Was dazwischen liegt, fügen auf Erden die Menschen, nicht können sie meinen, es täten die Götter.
Die Menschen sind die Schatten der Götter. Sie handeln nach eigenem Belieben auf Erden. Ihrer ist das Verdienst am Licht, ihrer ist die Schuld an der Finsternis.
Die Gottheit reicht das Schuhwerk zum Gehen. Ihre Wege wählen die Menschen sich selbst.
Mitleidvoll sieht Marduk auf die Irrenden nieder, freudvoll auf die, welche rechten Wegs gehen. Rat gibt er den Suchenden - nicht Zwang.
Das Jetzt ist der Weg. Und oft gleicht der Weg einem Spinnengewebe. Schwierig ist es, die einzig gerade Bahn stets zu finden.
SAJAHA 4
(„Träume“)
Von den Träumen, die nächtens euch kommen, will ich zu euch sprechen, von merkwürdigen Dingen, von fremden Dingen, will sie euch entdecken [=enthüllen].
Denn es gibt Träume unterschiedlicher Art. Es gibt solche, die euch in den Welten des Schlafs wandeln lassen. Es gibt solche, die ein anderer euch bringt. Es gibt auch solche, die ihr anderen schafft. Und auch gibt es welche, die grenzenlos enteilen.
Manches seht ihr wohl im Schlafe, was bloß eine Spiegelung des Tages bedeutet. Solches ist kein [wirklicher] Traum; solches ist Aneinanderreihen von Bildern ohne tieferen Sinn.
Wenn aber im Schlafe der innere Leib sich aus dem äußeren hebt, dann habt ihr Träume! Denn es ist so, daß der innere Leib, welcher aus dem Gottesreich stammt, den äußeren, der seine Nachgeburt für den Aufenthalt in der Diesseitswelt ist, nicht ununterbrochen tragen kann. Und deshalb kommt der Schlaf. Während der Stunden des Schlafes ruhen Geist und innerer Körper [Seele] sich aus.
Und so verläßt dann der Geist den irdischen Leib und unternimmt Ausflüge. Dabei sucht er sich oft einen anderen Menschen, dessen [Wesens-] Schwingung der seinen ähnlich ist, und zieht zeitweilig in diesen ein. Und wenn ihr in euren Träumen vieles gar deutlich erlebt, so ist all dies wirklich geschehen. Jedoch nicht euch, sondern jenem Menschen, in den euer Geist als Gast eingezogen war, um sich tragen zu lassen und still mitzuerleben.
Es kann aber auch andersherum geschehen, daß der Geist eines anderen Schlafenden sich zu dem eurigen gesellt. Dieser bringt Bilder aus seinem Leben mit, und diese vermischen sich mit euren eigenen. Und oft mag es wirr erscheinen. Alle Bilder aber sind echt in ihrer Weise.
Dies aber sind noch die kleinen Bahnen der Träume. Es gibt größere, die bedeutsamer sind. Wenn etwa euer Geist ganz auszieht und sich völlig in die Welten des Schlafes hineinbegibt. Dort begegnen sich zahlreiche Geister von Schlafenden und sind dort miteinander beisammen. So sind Bilder, deren ihr euch nach dem Erwachen erinnert, häufig sehr fremd für euch.
Noch weitere Bahn aber kann bis an die Grenzen von Grünland führen - und womöglich sogar ein Stück dort hinein. Dann erlebt euer Geist gar viel in den Stunden des Schlafes - und weit reicht sein Blick.
Denn von dort aus sieht er auch die Wesen der Erdenwelt in deren Wahrheit, nichts bleibt ihm verborgen, alle Gedanken liegen offen vor ihm. Und was ihr euch von dort merkt, das ist wahrlich wichtiges Wissen.
Es kann aber auch geschehen, wenn euer schlafruhender Erdenleib von eurem eigenen Geiste verlassen ist, daß fremde und dämonenhafte Geister vielleicht zeitweilig da Einzug halten. Solches geschieht, wenn die Seele nicht stark genug ist, den [irdischen] Körper gegen das Eindringen von Fremden abzuschließen. Und dann lauert Gefahr.
Alles das, was ihr in den wirklichen Träumen seht und durchlebt, das ist irgendwo wirklich. Nichts ist bloßer Schein.
Und es ist auch möglich, euch manches daraus zu deuten. Weil sich der Geist ja nicht zufällige Wege sucht, sondern aufgrund seiner Wesensart - oder aber weil er sucht, woran es ihm ermangelt. Viel könnt ihr lernen daraus.
Wenn euch eure gehabten Träume oft wirr vorkommen, nach dem Erwachen, so liegt das bloß daran, daß ihr euch ihrer nicht mehr richtig oder nur unvollständig erinnert, und auch die Erinnerung an verschiedene Träume, die ihr hattet, durcheinanderbringt.
Und es kommt noch zu alledem das Wissen, daß alles, was einen Geist hat, auch träumt; und zwar auch dort, wo der Geist kein begreifender ist - also bei den Tieren und bei den Pflanzen.
Denn alle diese Wesen kamen ja einstmals aus den Gefilden des Gottesreiches, den Begreifenden [Engeln/Menschen] nachfolgend, oder auch von diesen mitgezogen. Und alle haben sie einen Geist nach ihrer Art, und dieser verläßt also auch schlafend seinen irdischen Leib von Mal zu Mal.
SAJAHA 5
Durch den Sternenhimmel bin ich geflogen - adlergleich - in der tiefblauen Nacht, die eine andere Nacht ist, und die immerfort währt. Und es war ein Bild, das mir da kam: Tiefblaue Nacht zwischen all den Gestirnen, den hell funkelnden und den matt leuchtenden - nahe und ferne.
Durch die Zeit trugen mich gleichsam meine geräuschlosen Schwingen. Und nirgends war eine Grenze - und doch auch Überall.
Da sah ich die Erdenwelt liegen, in einem Meere von Strömen, die sonst niemand sieht, die auch ich nicht recht sah, sondern erfühlte: Sie waren da, überall, und kamen auf die Erdenwelt zu und umfingen sie und hielten dort alles fest, was als Grundlage für das Leben notwendig ist.
Und die Erdenwelt war nicht groß, und die Gestirne waren nicht klein, und viele ähnelten einander, obschon doch alle von einander verschieden waren. Da waren rote Welten und gelbe, blaue und grüne, weiße und auch solche von beinahe schwarz. Und andere waren durchzogen von mehreren Farben. Manche leuchteten aus sich heraus und waren sehr hell, so daß ich keine Form wahrnehmen konnte. Andere wiederum waren von noch anderer Art.
Und ich sah die Sonne, welche die Erdenwelt bestrahlte; hell und heiß und wie glühendes Gold. Auch den Mond sah ich, der des Nachts auf die Erdenwelt scheint. Matt war sein Glanz, und er war nicht groß, wie die Sonne groß ist. Die Erdenwelt aber sah ich wie an nicht wahrnehmbaren Saiten hängen: Der Sonne Strahlenhaar.
Und die Schwingungen trugen mich durch sprühende Lichter und durch weite Dunkelheit und wieder zurück - ich weiß nicht, wohin. Und da sah ich auch eine andere Erdenwelt. Vertraut und doch auch fremd zugleich. Auf ihr ging ich nieder. Deren Himmel aber war von bläulichem Rot, und es gab keinen anderen Tag als eben in diesem Licht. Eine andere [Sonne] schien mir [dort] und ein anderer Mond, der sich ein Zwilling war. Aber ich hörte Sprachen sprechen, die ich [gedanklich] verstand.
Dann rissen mich die Schwingungen zurück, ein Sturm wirbelte und drehte mich herum, und in meine Haare verfing sich das Flügelwerk, so daß es aufhörte zu tosen und wieder ruhig wurde. So schwebte ich heim, vorüber an anderen Welten, und von einer her, so erschien es mir, kamen sanfte Gesänge. Aber die Nacht, die dunkle, die blaue, die milde, nahm mich zurück.
Ich stehe auf den Zinnen des Tempels und schaue empor zu der Nacht. Jetzt ist sie sehr still. Sie schweigt bis zum Tag.
SAJAHA 6
Dämonen sah ich lagern an Grünlands Rand. Und Schaddei kauerte vor ihnen mit all seinen Geistern des Bösen, bettelnd um Beistand gegen Bels Reich, aufhetzend zum Streit wider Ilu.
Die Dämonen aber achteten darauf nicht. Ihr eiskalter Atem ließ erstarren den Höllengeist; sie bekümmerte nichts.
Da zog der Finstere mit seinen Horden heim zum höllischen Pfuhl. Der Geruch geschlachteter Leiber umfing sie dort wieder.
Heimelig fühlt sich so der Fürst der Schatten, Graus ist ihm Labsal, Verwesung Genuß; nach Blut lechzt er.
Zur Erdenwelt hin schwärmten die bösen Geister aus - so habe ich gesehen -, um Böses zu stiften, ihrer Art gemäß, Haß einzuträufeln, Mordtat zu säen, aus Bechern voll Wut trinken zu lassen die Völker, damit überall Krieg werde. Blutes- und Brandesrausch sucht der Schaddei.
Dämonen sah ich schweben an der Grenze zur diesseitigen Welt. Ein Bündnis mit Jaho [Schaddei] schlossen manche; Unheil droht den Erdenmenschen. Einige haben sich hier dem Bösen ergeben, und solche dienen ihm, solche tragen die Becher voll Wut unter die Völker der Menschen, um diese dadurch trunken und taumelnd zu machen in Kriegslust und Wahn - damit Jaho Menschenblut schlürfe und sich weide am Geruch von brennendem Menschenfleisch.
Dem Bösen dienen die Knechte des Bösen, des Schaddeins Sendlinge sind sie, diesseitiger Auswurf der Hölle.
Schlimmes habe ich kommen gesehen: Die Abgesandten Schaddeins, die Geister des Bösen auf Erden, gewinnen sich Macht.
Schreckliches wird - noch Schlimmeres wird kommen -, bis endlich der Geist der Gerechten erwacht und Babylons Schwert aufnimmt, das reine, das lichte, um zu zerschmettern die Finsternis!
SAJAHA 7
Eine graue Wolke treibt näher. Aber sie trägt keinen Regen, sie bringt nicht sanfte Schatten - sie verdunkelt das Licht.
Nicht Frohes kann ich verkünden. Finsternis treibt in kommender Zeit heran. Die Tempel bersten, und die Könige stürzen. Das Volk verfällt in Neid, der Neid schürt den Haß. Der Haß nährt die Kräfte des Bösen und formt Kriege daraus.
Nicht Frohes kann ich verkünden, nicht Schönes noch Licht. Denn das Licht, das in [einer] Zwischenzeit kommen wird, das erschlagen die Diener der Finsternis. Und seinen Schein werden sie mit falschen Tönen vermengen.
Und die graue Wolke treibt näher heran. Sie ballt sich zu Schwarz und verfinstert den Himmel über der Welt.
Und die Erdenbewohner, in ihrer Mehrzahl, unterscheiden nicht mehr zwischen schwarz und weiß, sie vertauschen Böse und Gut; ahnungslos taumelnd, rasend im Wahn. Nichts hat Bestand. Alles fällt.
Nicht Frohes kann ich verkünden - bloß eines: Die siebente Menschheit wird aufsteigen in nochmals späterer Zeit. Zuvor aber müssen alle kranken Seelen vergehen, welche weiß und schwarz nicht mehr trennen.
SAJAHA 8
Böse Gesichter sind da - und zerfließen. Sie gehören nicht Dämonen, sie gehören nicht zu jenseitigen Wesen: Sie gehören der Erdenwelt an - in sonderbarer Weise.
Weiße Blumen erblühen. Blaue Blumen erblühten zuvor. Irgendwo sind falsche Gewächse. Sie verbergen sich unter den Blättern der anderen und wuchern heimlich.
Zehn Reiche kommen und gehen. Das von Babylon und Assur ist das erste und größte. Das von Arian folgt nach, und dann das von Ägypten, dann Eran, dann Chat und dann das an der Küste der See, dann die Ferne im Osten und auch die Ferne im Westen, dann das über der See und auch das Mitternachtsreich. Später werden noch drei Nachgeburten folgen. Diese vergehen schnell; sie sind nicht im Licht. Eines frißt ein anderes gleich auf. Zwei verbleiben.
Von all den Reichen kehrt eines zweifach wieder - und immer an einem anderen Ort. Die Schwingung, die von Bab-Chomet [der Schwarzen Sonne] her leitet, bewirkt dies.
Aber die Finsternis erstickt wieder das Licht - und erstickt auch sich selbst.
Doch die Helden fallen fast alle. Es erblühen keine Blumen mehr - bloß Würgeranken. Und die Wüste bleibt leer. In den Zweigen der Bäume hocken Aasvögel. Sie haben schon die Eulen gefressen, sie haben schon die Tauben gefressen, sie haben schon die Adler gefressen.
Graue Tiere wachsen aus dem Boden hervor. Sie nagen an den Wurzeln der Bäume, bis diese umstürzen und im Stürzen die aasfressenden Vögel mit niederreißen. So werden dann diese erschlagen, und die grauen Tiere fressen sie auf.
Zwischen Hügeln keimt ein blutrotes Tier auf. Es wächst schnell. Die grauen Nagetiere tragen ihm Nahrung zu, bis es groß ist. Dann frißt es auch diese, die es hochnährten. Und das rote Tier hat Augen aus falschem Gold.
Auf der Erdenwelt herrscht kein wahres Reich mehr, bloß noch die Nachgeburten. Und diese sind von Geburt aus krank. Sie wählen sich das blutrote Tier von den Hügeln zum Anführer. Aber bald zerteilen sie es im Streit.
Das rote Tier aber wird jetzt doppelt. Und ein jedes der [jetzt] zwei hat noch ein Auge aus falschem Gold. Ranken halten es ihnen fest. Und diese Ranken verbinden auch die zwei Teile des Tieres miteinander. So bleiben die verfeindeten Nachgeburten einander doch auch verbunden.
Das blutrote Tier aber beißt zu, und beißt in die Völker der jeweils eigenen Anhängerschaft. Es reißt schwere Wunden auf. Viel Blut fließt, und das Tier säuft es auf. Das macht es stark.
Aber auch die Ranken werden durch das Blut gestärkt. Sie würgen nun die roten Tiere und wollen selbst ganz allein herrschen. Tief bohren sich ihre Glieder in die Leiber der Nachgeburten. Und deren Völker bluten abermals noch mehr.
Dann fallen die Nachgeburten und deren Völker! Durch den Schatten der wahren Reiche gehen sie ein. Und auch das rote Tier vergeht. Und die Ranken verenden, weil sie nichts mehr hält.
Da ist überall ein großes Schreien und Klagen und Jammern! Zügellos sind die Völker, ohne Ordnung und Reich.
Jetzt hegen sie den Sproß einer weißen Blume. Und diese gedeiht allmählich - sie bringt eine Blüte hervor. Und so wird ein neues, ein wahres Reich. Und alles unterwirft sich ihm freudig. Es ist aus dem Licht.
Viele böse Geister sind da gewesen. Doch am Ende ein Licht. Die bösen Geister zerfließen - das Licht aber bleibt.
SAJAHA 9
Drei Bilder will ich euch zunächst zeigen; und ein jedes davon ist ein Geschehen zu einer [bestimmten] Zeit.
Das erste Bild zeigt euch einen neuen König. Er lebt an den Ufern der See. Sein Geschlecht ist uns blutsverwandt. Er sendet viele Schiffe aus. Er nimmt Länder ein, die seit dem großen Sargon I. keiner von hier mehr gesehen hat. Er ist vielwissend, seine Götter sind auch die unsrigen.
Je höher des neuen Königs Zeichen in den Weltenhimmel steigt, um so mehr Neider schmieden Haß gegen ihn - und sammeln sich bald, um ihn zu überfallen. Schrecklicher Kampf kommt - zum einen, zum anderen und zum aber anderen Mal.
Der neue König erliegt schließlich der Überzahl. Es verbleibt von ihm keine Spur - geheimes Wissen nur.
Ein anderer König herrscht jetzt als der erste über die Welt. Er ist nicht unseres Blutes und hat kein lichtes Wissen. Sein Land liegt ferner. Durch Fleiß aber schafft dieser König viel. Wie der Fleiß jedoch vergeht, da vergeht auch sein Werk.
Das zweite Bild, das ich euch bringen will, zeigt viele betende Menschen; viel beten sie und in vielen Ländern. Doch zur wahren Gottheit beten sie nicht, geblendet ist ihr Verstand. Das Licht, das einst da war, haben sie in ihren Tempeln verhüllt, falsche Inschriften tragen ihre heiligen Steine. Und sie bringen verkehrte Opfer dar, schneiden Mädchen die Haare ab und verbrennen die Weisen. Sie sehen die Zeichen der Götter nicht mehr. Und [so] wie sie beten und opfern, so führen sie gierige Kriege.
7. Ihre Gedanken sind ausgeleert, ihre Geister [Charaktere] sind krank, und ihre Seelen verformt. Ihre Götter schlürfen ihr Blut, verbrennen ihr Fleisch und fressen das Haar ihrer Frauen. Und sie töten sehr viel.
8. Das dritte Bild, das ich euch heute geben will, zeigt, wie abermals ein neuer König sich in der Ferne erhebt. Und er ist unseres Blutes. Sein Name ist "Hoffnung". Denn er verschließt die Quellen des Bösen. Und jedes Himmelszeichen schenkt ihm ein Jahr; die erste Hälfte davon im Frieden und die zweite in Krieg. Doch die Quellen des Bösen brechen wieder auf, und sie überschütten den jungen König mit Blut und Feuer von oben und unten und von allen Seiten. So geht er zugrunde. Und der Name "Hoffnung" fällt mit ihm.
9. Dann ergreift die Finsternis völlig die Macht in der Welt. Die verblendeten Menschen opfern in dumpfen Tempeln jeglicher unreiner Art. Schaddein [der Fürst der Schatten/des Bösen] bestimmt die Bahnen, höhnisch herrschen seine Priester der Lüge über die Erde. Allein die Erben der Erben von Babylon, Assur und Persien schreiten zur Wehr. Doch diese wurde längst schwach. Der Sieg ist fern. Es gibt keinen neuen König mehr.
10. Es wird aber ein Starker die Reste der Erben aufrütteln und manchen wecken. Wie ein Komet, der plötzlich Zeichen gibt. Aber der Sieg ist fern, und einen neuen König gibt es da nicht.
11. Etwas Seltsames sehe ich außerdem: Es ist wie ein glühendes Rad - riesenhaft groß. Und seine Speichen sind ineinander verkrallte Menschen, die kein Geschlecht haben. Krank sehen sie aus, Selbstsucht ist in ihrem Atem. Sklaven sind sie sich selbst und dem Rade. Diejenigen, die den glühenden Reif halten, verbrennen und schreien dabei. Doch die nächsten drängen gleich nach, obschon sie sich sträuben. Denn das Rades Mittelnabe ist gleichfalls aus Glut; und dort verbrennen die Menschen. Und so treiben sich immer mehr und immer neue Scharen dem Unheil entgegen, das von der Glutmitte her wirkt. (?)
Dieses glühende Rad - riesenhaft anzuschauen - rollt über die Erde dahin. Feuer bringt es, entzündet Länder und Meere. Ein arges Lärmen klingt von Überall her - grausig und ohne Sinn. Das Rad aber rast weiter. Der Lärm, von versengten Menschen im Irrwitz erzeugt, treibt es an, macht es schneller und rasender. Im Wahn springen Tobende auf das Glutrad auf - und werden zu Rauch.
Nirgends ist mehr Stille, überall Schreien und Toben und Rasen. Die Menschen erkennen einander nicht mehr. Und keiner bremst des glühenden Rades gräßliches Rollen. Fern ist ein neuer König.
Ein ganz anderes Bild habe ich dann noch gesehen - und ich weiß nicht zu sagen, woher dieses Bild kam; es war ferne den anderen.
Da sah ich das goldene Bildnis einer schönen Göttin. Es war aufgestellt auf einem hohen Mast. Ich hielt es für Ischtars Bildnis, obgleich es nicht ihr Zeichen trug.
Auf dem Sockel des Ischtar-Pfahls sah ich einen König stehen. Und viel Volk jubelte ihm zu. Ringsrum lag eine große Stadt, und die ganze Stadt war in Jubelstimmung. Geradeso, wie wenn der König von Babylon zu seinem Volk eine Rede hält. Und fast meinte ich, ein neues Babylon zu erkennen, welches da liegt in ferner Zeit - und ich weiß nicht, ob voraus in der Zeit, oder zurück.
17. Eine helle Sonne sah ich scheinen auf die Stadt mit der goldenen Göttin und auf das ganze Land - bis zum Meer hinauf - bis in die Berge hinein. Und überall herrschte hohes Glück, klang lauter Jubel. Und wie die Sonne erstrahlte, so schien auch hell das Licht der Liebe weit und breit unter den Menschen. Nirgends sah ich Streit, keinen Zorn hörte ich, allein Freude überall; und von wildem Wahn keine Spur. Auf den Flüssen fuhren geschmückte Schiffe und in den Straßen fröhliche Wagen. Und die Wüste war in prächtigen Wäldern ergrünt.
SAJAHA 10
(Bruchstücke)
Es wird dann ein Licht, wie ein junger Stern, aufleuchten am Ende des Himmels. Das ist des Wasserkrugs sich öffnender Deckel [Anfang des Wassermann-Zeitalters, bzw. eigentlich Wasserkrug-Zeitalter].
Und ein Graus wird hereinbrechen über alle Knechte der Finsternis und über alle ihre Helfer. All ihr Gold wird dahinschmelzen zu schreienden Tränen - unter dem leuchtenden Strahl des neuen Babylon. Und alle ihre Racheschwüre werden sie selbst treffen aus dem Spiegel ihrer Bosheit.
Die Gerechten aber werden richten die Ungerechten - und werden diese beschämen durch ihre Gnade.
Da wird die Stunde des Panthers sein gegen den Drachen, den ein Wurm in der Wüste gebar und den Riesen nährten im Reiche des Nordens - hier wie dort.
Die Verklagten werden die Kläger sein; und die Heuchler jammern an den Gluttoren ihrer Finsternis.
Tief hockt die Finsternis im Fleische der Völker - wie heimliches Gewürm - hoch wird sie sitzen: In den Sätteln [und] auf den Nacken der Könige und der Fürsten. Das Licht der Gerechten scheint verdunkelt zu sein.
Das neue Babylon aber wird erstrahlen am Sockel des Nordberges. Und derjenige, welcher der Einsamste war, wird der neue König von Babylon sein, der König des neuen Reiches.
SAJAHA 11
(Die ersten Verse sind verlorengegangen.)
1. Es wird zu jener Zeit eine große Flut über die hohen und einstmals hellen Gärten der Erde kommen; und es wird keine Wasserflut sein, sondern ein Odem von Fäulnis überall.
2. Und aus den niederen Gärten werden Schwärme von gierigen Käfern heraufkommen. Diese werden fressen und ihre Larven unter den blühenden Bäumen ablegen, und die Larven werden die Wurzeln der Bäume abfressen und daran eingehen. Die Blüten der Bäume aber verwelken - und auch ihre Blätter. Und noch immer kommen gefräßige Käfer. Sie haben keine Gedanken, sie kennen nicht ihren Sinn. Neue Larven legen sie ab. Kein Feuer wird geworfen, um sie zu verbrennen. So welken die Bäume dahin - und auch die Sträucher und auch das Gras.
3. Und alles wird verdorrt und überall schon kahl sein. An Hunger sterben viele der gierigen Käfer. Die Bewohner der hellen Gärten darben auch.
4. Es gibt bereits mehr von den Käfern, als es Menschen gibt. Und die hungrigen Käfer fressen dann viele Menschen auf.
5. Die Menschen haben nämlich ihr Denken und Verstehen verloren durch die Flut des fauligen Odems. Sie hätten sich und ihre Kinder vor dem Unheil schützen können. Da sie aber die Fähigkeit des Verstehens verloren hatten, taten sie nichts.
6. Und es war also vor der Flut der gefräßigen Käfer die Flut der Fäulnis in die hellen Gärten hineingekommen; und das eine bereitete des anderen Weg. Und so brachten die Menschen sich schließlich selbst ihr schlimmes Ende, weil sie duldeten.
7. Es wird also die erste Flut kommen und der zweiten den Weg bahnen, an dessen Ende die Auslöschung steht.
8. Dann verderben auch in den niederen Gärten die dort verbliebenen Käfer, denn ohne den Samen der Bäume von oben gedeiht ja nichts mehr. So stirbt diese Welt. Und die Menschen in den verschiedenen Ländern kennen einander nicht mehr. Feindschaft kommt durch das Weltsterben allerorten auf. So erschlagen die Allerletzten sich selbst.
9. Dies sah ich, dies ist [ein] kommendes Bild. Und doch ist es Warnung - nicht unabwendbares Schicksal. Wehret ab, ihr Menschen, schon die erste Flut! Versäumt ihr es, seid ihr alle verloren!
10. Damit ihr es erkennt, will ich euch die Bilder der ersten kommenden Flut, von der ich sprach, genauer zeigen. Bunt sind diese Bilder, merkwürdig und fremd. Zu deuten versteht sie der Kluge.
11. Ein weißer Vogel kreiste über dem Meer in der Nähe des Weltberges; edel und rein. Keinem mochte er ein Leid zufügen, Zorn ging niemals von ihm aus.
12. Es sind [da] aber zahlreiche andere Vögel - weniger edel und ohne das strahlende Weiß. Und diese beneideten den Weißen und rotteten sich gegen ihn zusammen, um ihn nicht mehr landen zu lassen, damit er vor Erschöpfung und Hunger sterben sollte und dann tot herabfallen aus den Wolken in die See, damit bald niemand mehr wisse, daß es je einen so weißen und edelen Vogel gegeben hat.
13. Der weiße Vogel zog lange seine Kreise, bis die Not ihn zwang, gegen alle die anderen zu kämpfen. Und viele von diesen stieß er nieder, blieb lange Sieger in diesem Kampf.
14. Da sammelten die anderen noch mehr Genossen und griffen den Weißen abermals an - nachdem sie ihn vorher wieder zu hungern gezwungen hatten.
15. Und es gab wieder viele schreckliche Kämpfe der Überzahl gegen den einen. Bis endlich der weiße Vogel blutend am Boden lag und sich nicht mehr wehren konnte.
16. Weil er aber doch nicht im Meer versunken war und deshalb noch immer [etwas] von seinem weißen Gefieder zu sehen war, rupften die anderen ihm alle Federn aus und verzehrten sein rohes Fleisch.
17. Nun gab es den weißen Vogel nicht mehr. Und bald schon sollte sich zeigen, daß er der Leiter des Sonnenlichts gewesen war und der Vater der weißen Wolken des Himmels. Und fortan gab es kein reines Licht mehr, und bloß noch graue Wolken, welche die Strahlen der Sonne aufhielten und ihre Wärme zwischen Himmel und Erde verschlangen.
18. Aber die zahlreichen unedelen Vögel, die den langen Kampf überlebt hatten, schrieen jetzt laut, weil es kalt und immer dunkeler auf der Erde wurde; und sie sagten, der weiße Vogel trage daran die Schuld und daß sie ihn deshalb ermordet hätten. Und sie verkehrten also, was gewesen war, und leugneten ihre Schuld.
19. Wie nun die Zeit weiter verging, da kamen mit der Dunkelheit böse Dämonen, die sich ja im Dunklen zuhause fühlen. Mit diesen aber kam auch die Krankheit der Geister - und - das Nicht-mehr-Verstehen.
20. Denn dunkle Dämonen gleichen dem Schein: Wesenlos wesenhaft sind sie, kennen kein Leid und keine Freude, haben weder Furcht noch sonst ein Gefühl. Was wesenhaft ist, verstehen sie nicht und kümmern sich auch nicht darum.
21. In ihrem Anhang aber kamen die finsteren Geister, um Bosheit auf diese Welt zu tragen. Und manch einer erkannte, daß der weiße Vogel auch Schutzschirm gegen die dunkle Macht gewesen war.
22. Was also licht gewesen war, zum Schutz vor der Finsternis, das hatten die neidischen Vögel geschlachtet.
23. Jetzt wurden sie alle Opfer des Herrn der Schatten.
SAJAHA 12
Erstes Kapitel
Gespräch zwischen Sajaha und König Nebukadnezar II. (Nebokadarsur)
Nebukadnezar: Sprich zu mir, Sajaha, welchen Verlauf nimmt die Zeit? Welchen Lauf nimmt die Welt?
Sajaha: Finsternis wird bedecken den Himmel über der Welt und über der Zeit. Denn die Anbeter des bösen Geistes sind nicht vollständig vernichtet, sie kommen auf.
Giftigen Dornen gleich bohren sie sich in die Leiber der Länder, den Ungeist des Bösen bringen sie auch in dein Land, in deine Stadt des Lichtes. Untergang naht uns; denn die Finsternis wird stark in der Welt.
4. Nebukadnezar: Habe ich die Knechte der Finsternis nicht furchtbar geschlagen? Vertilgt ihre Stätten? Verbrannt den Höllenschrein? Hingerichtet ihre Priester und Anführer? Gefangen ihre Oberen?
5. Sajaha: Was nützt es, o König, auszureißen der giftigen Pflanze Strunk aus dem Beete des Gartens, wenn du ihren Samen damit nicht vernichtest?
6. Frische Saat wird das Unheil so nehmen und sich erneut zwischen die Blumen mengen, den Saft ihrer Wurzeln saugen und schließlich überwuchern die reinen Blüten.
7. Bald wird der Tag kommen, da du das Beet deines Gartens nicht mehr erkennst. Die Blumen werden erstickt sein, die Strünke der Giftpflanzen aber werden das Bild beherrschen.
8. Verlöschen wird das Licht durch die finsteren Schatten der giftigen Strünke. Diese werden sich aus dem Mark der edlen Blumen ernähren, welche, überwuchert nun, die kraftspendenden Strahlen der Sonne nicht mehr sehen. So werden sie geschwächt und abermals geschwächt - bis das Übel der Finsternis beinahe vollständig herrscht.
9. Nebukadnezar: Hart verfuhr ich mit den Sendlingen des finsteren Geistes. Aber der König von Babylon ist ein gerechter Mann, er läßt Gnade walten gegen den, der bereut und dem Bösen abschwört.
10. Sajaha: Lügen glaubtest du, o König, Heuchlern erlagst du. Kann denn eine Dorne aufhören, zu stechen? Kann ein Gift aufhören, zu [ver-]giften? Kann die Lüge aufhören, Lüge zu sein?
11. Du, o König, liebst das Gute, und darum suchst du es. Deine Güte behindert dich, die Bosheit voll zu erkennen. So kann es dich täuschen, so haben die Sendlinge des bösen Geistes geheuchelt - und du ließest viele von ihnen am Leben. Darunter wird noch schwer leiden das lichte Geschlecht.
12. Nebukadnezar: Alt wurde ich, meine getreue Sajaha, der nächsten Welt zugewandt ist mein Sinn. Meiner Kriegszüge habe ich mich nie gerühmt, denn nach Weisheit und Helligkeit hat sich mein Geist stets gesehnt - für mich und für mein Volk.
13. Mächtig ist jetzt das Reich. Ein starkes Babylonien werde ich dem übergeben, der nach mir kommt. Der Dritte Sargon aber war ich nicht.
14. Sajaha: Der Dritte Sargon wird kommen in späterer Zeit. Er wird vertilgen die Knechte der Finsternis mit all ihrem Samen, er wird das Böse ausreißen mit der Wurzel.
15. Er wird keine Gnade kennen, keinen einzigen der Feinde des Lichtes wird er verschonen; keinem, der stillhielt, wird er Gnade erweisen. Keinen, der das Große nicht erkennt, wird er dulden. Die niederen Arten wird er niederdrücken, die kranken Seelen erschlägt er alle. Von den Anbetern des bösen Geistes wird keine Spur auf der Erde verbleiben.
16. Fürchterlich wird der Dritte Sargon sein gegen alles, was der Entfaltung des reinen Lichtes hinderlich ist.
17. Er wird die Welt reinigen, wird sieben von zehn Menschen erschlagen und alles austilgen, was falsch ist und alles, was die Zeichen des Falschen trägt.
18. Er wird grausam sein gegen das Dunkel.
19. Die Leiber der Erschlagenen wird er zu hohen Pyramiden aufschichten lassen, um sie zu verbrennen.
20. Alles Unedle muß fallen. Die ewige Ordnung, welche verlorengegangen sein wird, stellt er wieder her, gesandt von der Gottheit.
21. Nebukadnezar: Wann, o Sajaha, wird all dies sein?
22. Sajaha: In so vielen Jahren, gerechnet von diesem Tage an, wie seit dem ersten Sargon vergangen sind.
[Die Lebzeit Sargon I. ist nicht sicher bekannt. Bis 1982 nahm man -2800 oder -2400 vor unserer Zeitrechnung an, seither aber wird Sargon I. zwischen -3200 und -3800 angesetzt, eine Studie aus dem Jahre 1986 nennt -3950 vor unserer Zeitrechnung. Es gibt hier also eine große Bandbreite und wenig Gewißheit.]
23. Schlimm wird dann die Erdenwelt sein.
24. Doch in der Zeitspanne des dritten Teils eines Jahres wird der Gesandte sein Werk verrichtet haben.
25. Von Norden her wird er kommen; unvermutet wird er hereinbrechen über die im Gift lebende Erdenwelt, wird mit einem Schlage alles erschüttern - und seine Macht wird unbezwingbar sein.
26. Er wird keinen fragen. Er wird alles wissen.
27. Eine Schar Aufrechter wird um ihn sein. Ihnen wird der Dritte Sargon das Licht geben, und sie werden der Welt leuchten.
28. Und die Gerechten werden waten im Blute der geschlachteten Ungerechten.
29. Bis das Werk getan ist, werden die Feuer der Vernichtung brennen vom einen bis zum anderen Ende der Erde.
30. Ganz allein das Wahrhaftige wird verbleiben.
31. Nebukadnezar: Wie aber ergeht es Babylon?
Sajaha: Es wird untergehen für lange Zeit. Erst der Dritte Sargon wird es wiedererrichten im Lande des Nordens. Dort und dann wird es ein neues Babylon geben.
32. Nebukadnezar: Nun sage mir noch dieses, getreue Sajaha: Wird das neue Babylon durch die Zeiten bestehen?
Sajaha: Bestehen und im Lichte herrschen wird es für tausend Jahre, o König!
SAJAHA 12
Zweites Kapitel
Nebukadnezar: Sage mir - so sprach der König zur Sajaha in Esagila -, was siehst du, bis der Dritte Sargon kommt? Was wird sein mit dem Volk? Was wird sein mit dem Reich?
Sajaha: Schlimmes wird sein. Doch nichts vermag es abzuwenden, schon nimmt es seinen Lauf.
Der Giftdorn wuchert und verstreut seine ätzenden Samen nahe und fern. Lüge bahnt ihm den Weg; Lüge überschüttet den Weltkreis mit giftigen Pfeilen, mehr und mehr.
Die Sonne verdunkelt ihr Licht von Chaldäa bis zum Sockel des Mitternachtsberges. Aber die Menschen bemerken es nicht, vom Schein der Falschheit werden sie geblendet, vom Widerschein erschlichenen Goldes.
Viele Gutsinnige fallen, viele Arglistige erheben sich an ihrer statt. Schaddeins grausiger Atem verkehrt die Gedanken der meisten.
Was rein ist, wird niedergehen, was unrein ist, das steigt auf. Was unten war, das wird oben sein; die Plätze tauschen Böse und Gut.
Trunken sein werden die Menschen. Wahn wird regieren die Welt.
Eltern verlieren ihre Kinder, Kinder verleugnen ihre Eltern. Die Stimmen der Götter hört keiner mehr - ausgenommen die einsamen Gerechten, die nichts gelten werden in jener Zeit.
Die Völker werden ihren Sinn nicht mehr kennen. Armeen werden streiten gegen ihre Feldherren. Die Könige stürzen, und die Tempel werden zu Staub. Unrat kommt empor, Unrat wird herrschen.
Alle Macht wird in den Klauen der Unwerten liegen. Diese werden umkehren die Welt.
Sitte wird nicht mehr sein, sondern Laster wird als vornehm gelten. Männer werden ungestraft mit Knaben verkehren; Weiber werden nicht mehr Weiber sein wollen, sondern ungestraft wie Männer sich geben; Menschen werden sich ungestraft mit Tieren vermischen und Bastarde zeugen. Und die Bastarde der Bastarde werden zahllos in den Straßen der Städte sein, ohne daß man sie vertilgt.
Und die Niedrigsten werden zu Höchsten erhoben werden durch die Knechte des bösen Geistes. Und dieser betrachtet frohlockend dies alles von seiner Finsternis aus.
Erschaudernd unterbrach da der König die Seherin. Nebukadnezar: O Sajaha! Treue Ratgeberin deines alten Königs! Gib mitleidvoll mir ein besseres Bild, das ich in die andere Welt mitnehmen mag.
Sajaha: Zuerst muß das Schlimme kommen - und das noch Schrecklichere.
Denn der böse Geist selbst wird in Menschengestalt die Erde betreten - vergöttert von allen Sendlingen des Bösen.
Er wird in den Seelen der Menschen auslöschen, was der Geist der Gottheit ihnen zuvor gebracht hatte, wird ein wohlbereitetes Lager vorfinden, um sich behaglich zu fühlen; denn der ganze Weltkreis wird seines Geistes sein - allein die einsamen Gerechten werden in der Stille auf ihre Stunde warten, die auch kommen wird.
Zuvor jedoch muß sich das Übel furchtbar austoben auf der Erdenwelt.
Alles was schlecht ist, wird als gut gelten; alles was gut ist, wird als schlecht gelten.
Die Menschen werden keinen Gott mehr erkennen. Völlerei und Hurerei, Verrat und Betrug werden ihre Götter heißen. Blut werden sie trinken und sich in Schleim suhlen.
Freche Lügen werden sie Wahrheit nennen, und Wahrheit wird in ihnen nicht sein. Ausgenommen in den einsamen Gerechten, die sehnsuchtsvoll warten auf den Dritten Sargon, dem sie heimlich ihren Mut geweiht haben.
Aus dem zertretenen Boden Chaldäas wird dann der erste Funke des Neuen hervorschlagen. Er wird zum Himmel aufsteigen und fliegen, von eilenden Wolken getragen, zum Lande des Nordens hin. Aus dessen geschundener Erde steigt der Befreier empor, der Rächer: Der Dritte Sargon!
Und von Nord wie von Süd werden dann die einsamen Gerechten aufstehen und werden gewaltig sein und sturmgleich das Feuer entfachen und es vorantragen, das alles Übel ausbrennt überall, ja, überall.
Da hob der König beide Hände zum Himmel. Nebukadnezar: Schrecklich sollen sie sein, die Gerechten, und gnadenlos!
Sajaha: So werden sie sein!
SAJAHA 12
Drittes Kapitel
Der König ging zur Sajaha in den Tempel der holden Ischtar; und er war alt und müde und voller Sorgen um Volk und Reich. Denn obgleich Babylon mächtig und in aller Welt hoch geachtet war, spürte der König doch, daß Unheil in kommenden Zeiten drohte. Auch hatte ihm die Sajaha solches schon geweissagt. So ging er nun in den Tempel zu ihr.
Nebukadnezar: Sajaha, meine liebe Getreue, erzähl mir, wie es sein wird, wenn die Stunde des Lichtes über die Erdenwelt heimkehrt, wenn die Zeiten des Übels vorüber sein werden und die glücklichen [Zeiten] sich über mein Reich und den Erdkreis ausbreiten werden.
Sajaha: Da wird zuerst der Sieg der Gerechten sein, der Tapferen, die ausharrten durch alle Schatten des Bösen.
Wenn der Dritte Sargon gekommen sein wird und wird die Schlacht geschlagen haben, so werden diese seine Schwerter gewesen sein - siegreich gegen vielfache Überzahl.
Dann wird er, der Rächer, über den Erdkreis gedonnert sein mit feurigen Streitwagen, Blitze schleudernd gegen die Mächte der Finsternis, bis diese restlos vernichtet sind.
Nach alldem wird die Erdenwelt von aller Bosheit und von allem Elend gereinigt sein.
Nurmehr kleine Scharen von Menschen werden die Erdenwelt bevölkern; aber es werden die besten sein, die nun leben und herrschen.
Ein Turm wird [dann] erbaut werden - siebenmal höher als E-Temen-An-Ki.
Schön und wunderbar wird die Erdenwelt erstrahlen. Streit wird nicht mehr vorkommen. Habsucht wird niemand mehr kennen. Verirrung und Unzucht wird niemand mehr kennen. Waffen wird keiner mehr brauchen.
Und du, mein König, wirst das [aus] der jenseitigen Welt über den Gipfel des Berges der Versammlung schauen. Dann wird dich Freude umfangen.
Nebukadnezar: Fern ist die Zeit. Einsam sind die Tapferen und die Gerechten. Doch mit ihnen ist die Gottheit!
SAJAHA 13
1. Zwei riesige aasfressende Tiere sehe ich auf der Erde - und ich weiß nicht zu sagen, wann.
2. Sie haben Köpfe wie Menschenköpfe, aber Leiber wie von grauen Schweinen; deren Füße aber haben Krallen wie verwilderte Hände einer Mißgeburt. Und auf dem Kopf trägt ein jedes fünf verkümmerte Hörner. Die Köpfe sind zwar fast wie Menschenköpfe, aber doch unsagbar häßlich. Ihre Nasen sind breit, etwa wie die von Schweinen oder merkwürdigen Affen. Ihre Mäuler sind wulstige Höhlen. Ihre Augen ähneln schwarzen Steinen, die keinen Glanz haben. Und ihre Nacken sind fett.
3. Sie stapfen durch die Gärten der Länder und fressen alles auf. Sie waten durch die Flüsse und Meere und fressen alles auf. Sie kriechen durch die Straßen der Städte und fressen alles auf. Was sie aber fressen, ist das, was von selber vor ihnen zu Aas zerfällt.
4. Die Menschen aber fürchten sich vor den beiden Aastieren so sehr, daß sie aus Angst vor ihnen sterben. Und das allein ist der Grund dafür, daß die schlimmen Tiere immer größer und fetter und mächtiger werden; weil die Menschen nicht erkennen, daß die Unholde nichts als Aas fressen können, das Leben hingegen sehr fürchten müssen.
5. Lange bleibt es so. Bis in der Stille einer sich einen gewaltigen Speer herstellt, in Verborgenheit vor den anderen Menschen, die sich bloß fürchten und nicht zu kämpfen wagen. Der eine jedoch baut seinen Speer, und Ischtar selbst hilft ihm zu stärken die Waffe, und Bel rüstet ...
(Ende des Bruchstücks)
SAJAHA 14
1. An Grünlands Meeresstrand bin ich gegangen - viele Stunden lang. Und ich sah durch das lichtene Wasser hinab auf die Erdenwelt. Merkwürdig erschien sie von dort; sonderbar wirkten die Menschen.
2. Durch die Zeiten habe ich hindurchgeschaut - wie auf den Grund eines Meeres. Und ich sah kein Vorher und kein Nachher - alles war. Die Abfolge jedoch spürte ich schließlich.
3. Ober einem Berg in Grünland sah ich weich aufragen, was aussah wie ein kräftiger Zopf, geflochten aus schimmerndem Frauenhaar. Und ganz oben ein Haupt, das zwei Gesichter besaß: Nach der einen Seite das eines Mannes, und nach der anderen Seite das eines Weibes. Und das Gesicht des Weibes war sehr jung, beinahe wie das eines Mädchens; und die riesenhafte Flechte war aus dessen Haaren gebildet. Hoch empor in Grünlands Himmel ragt dieser Doppelkopf.
4. Da begriff ich, daß es Ilus hohes Zeichen ist: Männlich und Weiblich in einem, und doch voller Gegensatz, der eben darum zusammenklingt.
SAJAHA 15
(„Marduks Speer“)
1 Auf dem Gipfel des Götterberges waltet Marduk der Zeit. Schlimmes sieht er kommen, kann über lange Zeit dieses Kommen nicht verhindern. Fest steckt seines Speeres Schaft in der gläsernen Decke des Berges.
2. Dunkeles zieht auf, herrscht über das Lichte. Das Mitternachtsland liegt in Bedrängnis gefangen. Die Leichen gefallener Helden vermodern am Fuße des heiligen Berges.
3. Der Finsternis Heer drängt von Westen heran; wild wälzt sich von Osten heran die Menge der Sprachlosen. Babylon ist nicht mehr zu retten, Assur ist nicht mehr da, um zu helfen - gelähmt liegt darnieder des Nordlandes Kind.
4. Einsam trauert Marduk auf des Weltenberges Gipfel. Verloren ist die Heimat der Götter. Nicht singen sie mehr, nicht feiern sie Feste, noch rüsten sie stürmisch zum Kampf. Selbst ihre Gedanken liegen in Ketten. Und Ischtar weint um ihr Volk.
5. Da hebt Marduk den Blick empor bis an die Grenzen des höchsten Lichtes, wo Ischtar weinend steht. Und er hört Ischtars Stimme zu sich klingen: Herr Marduk! Beschirmer des Mitternachtsbergs! Schleudere deinen Speer gegen den Feind! Errette doch unser Volk!
6. Da sprach Marduk und antwortete ihr: 0 Ischtar! Wie gerne täte ich, was du zu mir sagst! Doch das Volk liegt darnieder, zermalmt ist das Reich, zahllos ist die Gewalt unserer Feinde - und der neue Sargon, der Befreier, der Rächer, der ist noch nicht da.
7. Ischtar aber sah ihn an und sprach: O Marduk! Siehe, was von unten gekommen ist, herrscht auf der Erdenwelt und beherrscht unser Volk, das von oben einst kam. Dulde nicht, daß noch länger das Unten das Oben beherrscht! Schleudere deinen Speer! Derjenige, der ihn auffängt von den Unsrigen, der wird der neue Sargon sein!
8. Da riß Marduk den Speer aus dem Boden heraus, hob ihn hoch und warf ihn mit Wucht auf die Erdenwelt nieder. Und während Marduk dies tat, befahl Ischtar den Gestirnen, ein neues Licht auszustrahlen, unsichtbar.
9. Auf der Erdenwelt tat Marduks Speer seine Wirkung: Einen neuen Willen gebar er dem Volk, eine neue Wut und Waffe - ein neuer Sargon erstand dem Volk; und der ergriff bald Marduks Speer.
10. Und ein gewaltiges Ringen begann - bis das Unten besiegt war und das Oben erhöht, und erbaut war das neue Babylon. All dies ist zu schauen in ferner Zeit, all dies wird sein.
SAJAHA 16
(Bruchstück)
1. [... Dieser Tag] ist ein guter, jener Tag ist ein schlechter. Und sie liegen ineinandergefächert oft wie Palmblätter.
2. Denke gesunde Blätter und faulige an ein und demselben Zweig. Noch sind die meisten gesund - bald werden die meisten verfaulen. Gift springt über, zersetzt schnell.
3. Das Böse ist wie ein scharfes Messer, das seine Form zu verbergen weiß und mit Gold sich umhüllen kann. Ein Mädchen fand es, hielt es für einen glitzernden Kamm, und ehe es sich versah, fielen drei Ellen Haares getötet herab. Bis es nachgewachsen ist, werden Jahre vergehen.
4. Wen das Böse beißt, der empfängt schnell schwere Wunden. Nur langsam heilen sie wieder zu.
5. Denn wer vom Bösen gepackt wird, der gleicht dem Mädchen, dessen Haarlänge fiel: Die Saiten, die Schwingung des Guten aufzunehmen, sind ihm genommen oder geschwächt. Schwer ist es, sich jetzt gegen das Böse zu wehren. - Nimm dies als ein sinniges Bild.
6. Wenn du stark bist, so stärke durch dich den, der überfallen wurde vom Biß des Bösen, ahnungslos. Nicht jeder ...
(Ende des Bruchstücks)
SAJAHA 17
(Bruchstück)
1. Die Riesenhand hat sich ausgestreckt. Sie greift nach den Strahlen der Sonne. Ihre Finger bluten - aber nicht durch die Sonne verletzt.
2. Die Riesenhand hat die Sonne gepackt - und neunmal gehalten. Dann wich sie zurück, löschte im Meer ihren Schmerz.
3. Die Riesenhand war nicht die Hand eines Riesen. Keiner weiß, was sie war. Jetzt ist sie nicht mehr.
4. Der aufsteigende Hof [Korona?] fuhr zur Morgenröte. Manche zogen mit ihm von Esagila fort.
5. Sie kannten einander - und waren sich doch auch fremd.
(Ende des Bruchstücks)
SAJAHA 18
(Bruchstück)
1. Ein kupferner Spiegel - leuchtend - verwirrend den Unkundigen. Sein blankes Metall greifst du nicht an, es will deinen Blick.
2. Und du schaust durch den Spiegel über die Ränder der Zeiten. Auf seinem Wasser reisen die Kundigen.
3. Auf dem Gipfel des Weltenberges landet des so dahinreisenden Wanderers Schiff. Niemals findet die Reise ein Ende, die so begann. Den Schall der Stimmen vernimmst du, die sonst keiner hört.
4. Ich sah durch den Spiegel, ich sah den Wanderer. Vom Gipfel des Weltberges aus winkte er mir zu, ihm zu folgen. Ich aber blieb, treu meinem König.
5. Dort oben sammelt der Wanderer Früchte ...
(Ende des Bruchstücks)
SAJAHA 19
(Bruchstück)
1. Die Gesänge der Seligen, begleitet von Harfen, Flöten und Pauken, könnt ihr wohl hören, so ihr nach ihnen lauscht!
2. Und mehr noch vermögt ihr, wenn euer Wille die Stärke hat.
3. Dann könnt ihr das Kleid eures Diesseits verlassen und hinüber in andere Welten gehen. Und achtet: Alle Verstorbenen trefft ihr dort wieder - und sie sind jung! Und sie ...
(Ende des Bruchstücks)
Quellen
Freundeskreis Causa Nostra: Arcanorum. Causum Nostrum - das lebendige Ordensbuch. 2005
THG Wien: Das Buch der Sajaha. Neunzehn Schriftsätze der babylonischen Seherin. Eigenverlag, Wien 1991