Christian von Rosencreutz: Das Licht Ägyptens
Der aus Hessen stammende Christian von Rosencreutz lebte zwischen 14. und 15. Jahrhundert. Um ihn ranken sich eine Vielzahl an Mythen, doch es ist anzunehmen, dass gerade die Gründung eines Ordens keinen wahren Hintergrund hat.
Das von ihm verfasste Buch "TM" befand sich auch im Besitz des Ordo Bucintoro. "TM" steht für "Temen" und bezieht sich auf den Turm zu Babylon (welcher zur Kommunikation mit dem Jenseits diente). Das "TM" ist öffentlich nicht verfügbar, aber sein Inhalt erschließt sich ohnehin nur jenen, denen jenseitige Hilfe zukommt, wie der folgende Brief des Christian von Rosencreutz nahe legt. Dieser findet sich auch im "Arcanorum Causum Nostrum".
Das Licht Ägyptens (Brief)
(1) Wenn ich sage, ich habe das Licht Ägyptens gefunden, und habe es mitgebracht, so meine ich kein beschriebenes Pergament, in dem alle Weltweisheit niedergelegt ist, nein, ich sage ja auch nicht, das Licht, von dem ich spreche kommt aus einer Lampe. Es ist ein inneres Licht, ein Licht, das ist in mir hell geworden in Ägypten, als ich da weilte und vergeblich suchte nach etlicher Weisheit in niedergeschriebener Form, solche zu entdecken. Denn das ist der erste Lichtstrahl gewesen, den ich in Ägypten empfing: Daß es das nicht gibt, daß nirgends alle Weltweisheit niedergelegt ist und kann auch nicht sein, weil ja alles sich unablässig bewegt und darum gar nicht mit Tinte auf Pergament bannen läßt, aber auch nicht vielleicht in Gestein hauen, nein, auf keine Weise läßt die Weltweisheit sich festbinden. Zwar gibt es viele alte und sogar sehr alte Schriftstücke verschiedener Art, aber sie alle binden nicht in sich die Weltweisheit.
(2) Das besondere innere Licht, das ich das Licht Ägyptens in mir nenne, hat auch wenig mit dem Lande Ägypten zu tun. Es kam just dort in mich, wäre aber wohl auch an anderem Orte gekommen, dies glaube ich, ohne es aber zu wissen, es kann auch die Wahrheit sein, daß es mit der Ausdünstung des Landes oder mit den Strahlen der Sterne gerade da in Ägypten zu tun hat. Die Heutigen da wissen wenig von den Alten, aber die Geister von den alten besuchen vielleicht hin und wieder ihre vertrauten Erdenstätten, und so will ich nicht ausschließen, daß doch ein solcher Alter des großen Ägypten unmerklich bei mir gewesen und hat das Licht in mir angezündet. In besonderen Stunden neige ich dieser Annahme zu, denn so könnte es wohl gewesen sein.
(3) Das Buch, das ich Euch nun sende, macht Euch erstaunen? Ja, seine Seiten sind beinahe leer. Die Zeichen und Worte, die Ihr auf dem einen oder anderen Blatt seht, und nichts davon deuten könnt, kamen in mich hinein durch das Licht Ägyptens, und während sie mir kamen, verstand ich sie auch, konnte aber jedesmal fast nichts davon behalten. Es ist so gewesen, als ob es nicht ich war, der sie verstand, vielmehr ein andrer, der für einige Augenblicke in mir gewesen, und als ob sein Geist sich da verbunden hätte mit dem meinen, wie er aber nicht mehr da war, fehlte mir auch das Vermögen, zu lesen und zu deuten, was ich mit eigener Hand geschrieben hatte und dazu gezeichnet.
(4) Und da habe ich erkannt, daß es kein Buch der Weltweisheit geben kann, es sei denn eines, das lebendig ist, auf eine ganz bestimmte Weise, so daß nicht auf den Blättern des Buches zu lesen ist, sondern daß es von innen her kommen muß. Das Buch ist darum nicht mehr als ein Sinnbild. Es hat für sich keinen Wert, außer des schönen Deckels, einjeder muß es sich selber füllen!
(5) Wie das tun? So höre ich Euch gleich fragen. Ich habe die Antwort nicht, es ist das Licht Ägyptens, wie ich es nenne, das befähigt, die leeren Seiten zu füllen. Wer sich selbst erweitert, tief innen in seinem Geiste, der bekommt Besuch, so wie ich es erlebte. Dieser Besuch liest Euch vor, er zeigt Euch die Bilder, immer andere, neue, aber auch er hat nicht die Weltweisheit. Viele Besucher zusammen könnten aber wohl ein Stück davon haben, ein kleines.
(6) Die Weltweisheit, das habe ich ebenfalls unter dem Lichte Ägyptens verstanden, sie ist nicht die Weisheit dieser Welt; die Weisheit dieser Welt ist Menschenwerk und daher klein, die Große Weisheit finden wir bloß auf der anderen Seite, wenn wir sind hinübergegangen.