Marcion-Evangelium

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Text

Original-Evangelium des Marcion (Bruchstücke)


Bruchstück Nr. 1

1.1 Dies waren die Tage, in denen alles Volk, welches unter des Römerreiches Herrschaft stand, sich sollte zählen und aufzeichnen lassen, nach dem Befehl des Kaisers Augustus, welchen Quirinius, der römische Statthalter in Syrien, zur Ausführung brachte.

1.2 Um diese Zeit aber zogen Joseph und Maria, die aus Galiläa stammten, von der Stadt Nazaret hinauf in Richtung Betlehem. Und Maria war schwanger.

1.3 Während sie also wanderten, kam die Stunde, in der Maria ihr Kindlein gebären sollte. Und weil es kein anderes Quartier gab da weit und breit, deshalb gingen Joseph und Maria in einen Stall, der ihnen geöffnet wurde.

1.4 Und so kam der Heiland zur Welt; in eine Krippe gebettet.

1.5 Zur selben Zeit hüteten Hirten ihre Tiere nahe dem Stalle in dieser Nacht. Und sie sahen ein Licht hell leuchten oben am Himmel.

1.6 Dies verwunderte die Hirten, denn sie hatten ein solches Licht noch nie zuvor gesehen.

1.7 Und bald erschraken sie gar; denn ein Engel Gottes schwebte ihnen zu im Schimmer jenes Lichtes.

1.8 Der Engel aber sprach zu den Hirten: „Seid ohne Furcht und höret, ich verkünde große Freude euch und aller Welt: Heute ist auf Erden der Heiland geboren! Mensch wurde Gott.

1.9 In einem Stalle nicht fern, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gebettet werdet ein Kindlein ihr sehen – und werdet begrüßen in ihm den Herrn, den Befreier der Erdenwelt.“

1.10 Damit hob der Engel sich wieder empor um zu jenem Lichte zu werden, aus dem er gekommen war.

1.11 Die Hirten aber verwunderten sich sehr über das, was sie gehört und gesehen hatten. Gleich machten sie sich auf, nach dem Kindlein zu suchen, in dessen Gestalt Gott die Welt der Menschen besuchte.

1.12 Untereinander sprachen währenddessen die Hirten und fragten sich: "Wie kann denn das sein, daß Gott selbst in Kindesgestalt vom Himmel her auf die Erde käme?"

1.13 Und doch hatten sie ja wahrhaftig den Engel gesehen und dessen Worte gehört; und daran zweifelten sie nicht.

1.14 Scheu betraten die Hirten bald darauf den Stall, in dem Maria mit Joseph und dem Kindlein war, das, ganz wie der Engel es gesagt hatte, in Windeln gewickelt und in einer Krippe lag.

1.15 Wie verwunderten sich aber die Hirten da erst, als sie das strahlende Licht gewahrten, welches das Kindlein umschwebte;

1.16 und wie ihnen war als hörten sie das Neugeborene mit einer innerlich klingenden Stimme zu ihnen sprechen und sagen: „Mein Friede sei mit euch!“ Und sie alle hatten den Gruß vernommen in sich.

1.17 Da knieten die Hirten nieder vor der Krippe und beteten zaghaft, denn ganz wunderbar war alles und durchströmt vom göttlichen Geist.

1.18 Maria aber, und Joseph, waren ganz still bei dem Kindlein, welches Jesus Christus, der Heiland – Gott in der Erdenwelt – war.

1.19 Vor langen Zeiten schon hatten Weise in Chaldäa die Zeichen gedeutet und die Stunde der Menschwerdung Gottes bestimmt.

1.20 Diesen Zeichen nachfolgend erschienen drei Weise bald: Aus Chaldäa, aus Persien und aus Indien. Diese hatten zusammen sich gefunden um als erste dem Herren der Welten für sein Kommen zu danken.

1.21 Und so waren dann in dem Stalle die Hirten, die drei weisen Männer, Joseph, Maria und das heiligste Kind.

1.22 Selige Stille herrschte da und glückvolles Schweigen:

1.23 Christ, das Licht, war da!


Bruchstück Nr. 2

2.1 Dies war die Zeit, in der Pontius Pilatus Roms Statthalter über Judäa war, und Herodes der Vizekönig in Galiläa; Hannan und Kaiphas aber die Hohepriester der Juden in Jerusalem.

2.2 Zu dieser Zeit ging aber ein Lehrer im Lande um, der Johannes hieß. Vom Nahen Gottes in Menschengestalt sprach er und sagte: „Ich bin der Rufer in der Wüste. Ich rufe euch zu: Keiner entgeht der Wahrheit dessen, der kommt! Und diese Wahrheit wird ein Licht in die Welt bringen, vor dem kein Schatten sich zu verbergen vermag.“

2.3 Leute aus dem Volke aber fragten diesen Lehrer: „So sage uns, was wir tun müssen, um vor dem Licht, von dem du sprichst, zu bestehen?“

2.4 Und Johannes antwortete diesen: „Wer Überfluß hat, der gebe jenem, welcher Mangel leidet an Speise oder an Kleidung.“

2.5 Dieser Lehrer taufte aber auch jene, die es wollten; und er taufte mit klarem Wasser.

2.6 Da fragte ein Zöllner, der sich taufen ließ: „Was lehrst du mich, Weiser, was ich an mir bessern soll?“ Und Johannes antwortete diesem: „Fordere von keinem mehr, als zu fordern dir vorgeschrieben ist. Leicht bist du gerecht.“

2.7 Und auch ein Soldat kam, sich taufen zu lassen. Auch dieser fragte Johannes, wie er denn sich verhalten solle. Und der Lehrer antwortete ihm: „Handele nicht gewalttätig ohne Not und denke gerecht. Leicht kannst du dies tun.“

2.8 Viele andere kamen noch zu dem Lehrer Johannes, um sich von ihm Rat und Taufe geben zu lassen.

2.9 Johannes aber sprach zu den Leuten und hielt ihnen eine kraftvolle Rede: „Mit Wasser taufe ich jetzt. Es wird aber einer kommen, der tausendfach stärker ist als ich, jener, dem die Schnürsenkel zu binden ich nicht würdig bin – der wird kommen und wird nicht mit Wasser euch taufen, sondern mit dem Feuer seinen heiligen Geistes.

2.10 Er wird das Lichte vom Dunklen scheiden, wie man die Spreu vom Weizen trennt. Den guten Weizen wird er in seinen Scheuern sammeln, die Spreu aber verwehen. Denn wer zu ihm kommen wird, der wird bei ihm bleiben; wer sich aber abwendet von ihm, der macht sich zur Spreu.“

Quelle

Causa Nostra